Interview mit Paul Muller (Horst Schwickerath — Aikidojournal 01/2001)

INTERVIEW mit PAUL MULLER (Teil 1 – Aikidojournal 01/2001)

Paul hast Du vor Aikido schon eine andere Budoart praktiziert?

Nein, ich habe als 15 jähriger mit Aikido angefangen, vorher gab es so gut wie keine »sportliche Aktivität«. Aber kaum hatte ich mit dem Aikido begonnen, da lernte ich Nakazono Sensei, und er schlug mir nach einem Angriff auf die Hand und sagte: »Sie müssen Karate lernen, Sie können nicht angreifen«! Also habe ich auch noch Karate praktiziert. Da Karate nur physikalisch ging, war ich sehr schnell, so nach sechs bis acht Monaten 1 Kyu. Dann musste mein Karatelehrer, Herr Massboeuf aus beruflichen Gründen Strasbourg verlassen und so wurde ich, für ein Jahr, »ein sehr junger« Karatelehrer. Später ging ich zum Studium nach Paris, dort traf ich Nakazono Sensei wieder und er sagte mir dann irgendwann, »jetzt müssen Sie mit Karate aufhören, Sie verkrampften sich«. Zwischenzeitlich hatte ich aber auch noch mit Judo begonnen, was ich allerdings nur 2 Jahre ausübte, im Gegensatz zu Karate, das ich doch immerhin vier Jahre praktizierte, parallel zu Aikido. Aber das erste war Aikido.

Wie bist du auf die Idee des Aiki gekommen?

Paul Muller, Mai 2010 in Karlsruhe

(es folgt ein langes Lachen!)

Ich kann es schon erzählen, aber ich weiss nicht, ob man das hier…?? (wieder langes Lachen) Warum nicht! Mit vierzehn war ich eben sehr in, wie heisst das auf Deutsch, war ich sehr an einem Mädchen interessiert? Aber sie hatte einen anderen Freund, und irgendwann gab’s mal Krach, »da hat er mir eben eine gelangt«, der war auch noch drei Jahre älter als ich…. so konnte es natürlich nicht weitergehen. Da ich einen Freund hatte, Charly Duch, der leider vor ein paar Jahren verstarb, er war ein grosser Judoka der aus dem gleichen Ort bei Strasbourg kam wie ich, empfahl er mir Judo. An dem Abend, als wir ins Judoan­fängertraining gingen, war kein Judotraining, aber Aikidotraining. Das ist ja oft so, nicht wahr.

Das erinnert mich an die „Geschichte“ von Klaus Chudziak Also Du bist »ganz normal« zum Aikido gekommen und genau so hineingewachsen?

Für mich war es natürlich sehr interessant, obwohl Nakazono Sensei viel älter war als Tamura Sensei, welcher ja dann später »den Annecy-Lehrgang« alleine weiterführte. Aber sie haben sehr nah zusammen gearbeitet. Nakazono Sensei, der eben so gut französisch sprach, brachte interessante philosophische Elemente, z. B. über ZEN mit hinein, vor allem in dieser Zeit damals. Heute kannst Du ja überall ZEN-Bücher erstehen. Er hat uns auch aufmerksam gemacht, über unser Essen nachzudenken, und das 1964/65 und in Frankreich!!! Gut, gerade heute gibt es natürlich andere Lebens mittelprobleme hier in Frankreich, aber es passt auch wieder! Er hat »ZEN-Makrobiotik« eingeführt, damals. Er ist zwar in den späteren Jahren etwas davon weggegangen, aber er ermahnte uns, er sprach oft und lange darüber, auf Dinge wie: Zucker, Weissbrot…zu achten. Also, wenn Reis, dann Vollkornreis und Vollkornbrot. Mit Sechzehn ist man natürlich für solche Dinge sehr offen. Das brachte erhebliche Schwierigkeiten mit der elterlichen Küche mit sich!! Aber dieser Ernährungsrichtung bin ich gefolgt und bin auch dabei geblieben.

Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass die Probleme mit den Eltern relativ gering waren, im Verhältnis zu 1968, Deiner Studienzeit, in Paris.Auch heute gleicht es einem Lotteriespiel, Vollkornbrot zu finden.

Also in der Ingenieurschule, in der ich war, konnte ich mir meinen Reis selbst kochen. Aber Vollkornbrot, da hast Du vollkommen recht, das habe ich wirklich nicht gefunden.

Die Idee, einen vierwöchigen Lehrgang durchzuführen ist, glaube ich, von O’Sensei geprägt worden?

Ich weiss nicht. In der Zeit war es eben üblich und die Möglichkeiten waren gegeben. Das Interessante ist eben, dass sich nach zwei bis drei Wochen das körperliche Empfinden ändert, wenn man kontinuierlich trainiert. Ich folgte diesen Lehr gängen in Annecy von 1965 an, und wir trainier ten vier Stunden Aikido und eine Stunde lai-Do. lai-Do übte ich unter der Führung von Ichimura Sensei, der ab 1965 auch in Annecy dabei war. Ich glaube, in einigen Sportarten müssen heu te die Athleten ähnliche Lernprogramme in ihrer Ausbildung durchlaufen. Leider aber hat sich das im Aikido »verloren«. Das ist wirklich schade. Denn man braucht circa zwei bis drei Wochen täg lich ca. vier Stunden Training, was an die Grenze der Belastbarkeit geht, um etwas zu ändern. Man arbeitet sich in etwas hinein. Dass ist das Interessante.

Aikidoseminar mit Waldemar (Waldo) Thomanek in Karlsruhe, Mai 1998

Nakazono ist aber nicht sehr lange geblieben?

Ich hatte eben das Glück, dass in den drei Jahren, in denen ich in Paris studierte, von 1968 bis 1971, dort war. 1971 ging er nach Santa Fee, USA. Er kam dann nur noch zweimal nach Frankreich, denn 1973 ging es dann recht gut mit der ersten »Wiedervereinigung« der französischen Aikidogruppen, Tamura, Nocquet und Mochisuki.Als Tamura Sensei Hilfe brauchte, rief er 1974 Chiba Sensei, der in London lebte nach Frankreich in den Jahren 1974 bis 1979 folgte ich Chiba Sensei.

Warum brauchte er Hilfe?

Nakazono Sensei ging 1971 nach USA. Tamura Sensei war allein und das  »französische aikido« war total geeinigt in einem Verband (UNA-FFJDA), der von Guy Bonnefond sehr gut dirigiert wurde, und 1974 schon ca. 12000 Mitglieder hatte. Tamura hatte so viel zu tun, dass er nicht mehr alleine weiter machen könnte, darum bat er CHIBA Sensei um Hilfe. Von 1974 an »dirigierte« CHIBA Sensei einen Lehrgang pro Monat in Paris, über zwei Jahre hin, also bis 1976.Es war damals mein Freund Max Mechard, der die Verantwortung für diese Lehrgänge in Paris hatte. Für weitere vier Lehrgänge pro Jahr, in Strasbourg, zwischen 1972 und 1976 zeichnete ich verantwortlich. Nach 1976 kam er »nur« zwei bis drei Mal im Jahr. Man kann sagen, dass Chiba Sensei (1974 bis 1976) auf Anfrage von Tamura Sensei mein »Chef« war. So folgte ich Chiba Sensei in den Jahren 1972 bis 1978 auf seinen Lehrgängen in England, Frankreich und den USA. Aber auch zu den Lehrgängen von Tamura und Yamada in Boston reiste ich in die USA. In England, wo seine Schüler mir in den Som mermonaten eine Unterkunft zur Verfügung stell ten, begleitete ich ihn auf Wochenendlehrgängen in Burmingham und Liverpool. Ich war nicht nur sein »Uke«, sondern wurde auch als sein Assistent eingesetzt, denn er »überliess« mir des öfteren die Anfängergruppen. Sonntagabends lud er mich zu sich nach Hause ein. Ihm verdanke ich meine Kenntnisse in Sachen Ken und Jo, die Basis, die Kumitachis, die Kumijos und die Katas.1979 verliess er London, um 5 Jahre in Japan zu verbringen, bevor er nach San Diego ging. Es freut mich immer wieder, wenn ich Chiba Sensei wiedersehe. Ich bin seinen Lehr gängen, in Spanien 1984 und 1985 sowie in Burmingham 1988 bis 1990 gefolgt.1996 besuchte ich ihn in seinem Dojo in San Diego (Kalifornien). Photos aus dieser Zeit gibt es auf meiner Homepage!

Du fliegst jetzt des öfteren nach Japan?

Ja, so circa alle zwei Jahre. Ein Monat in Ja pan ist schon ziemlich teuer, ja, der Yen….Aber ich habe auch ein paar Freunde dort, und so wird es schon erheblich billiger, wenn man so untergebracht ist. Ich war jetzt auch wieder Kyoto, dort lebt eine ehemalige japanische Schülerin, sie em pfängt mich auch jedes Mal. Dieses Mal habe ich dort auch zwei lai-Übungsschwerter gekauft.

Als Du nach Paris kamst, hast Du an mehreren Dojo trainiert?

Bouloris, 2004

Jurastudent, sofort gebeten, mein Trai ning am Universitätszentrum für Sport zu geben. Ich war halt »schon« 1. Dan und das war zu der damaligen Zeit »schon etwas«. Das war im Oktober 1968. In der gleichen Strasse, Nein an zwei Dojos. Als ich nach Paris kam, hat mich ein Student, er hiess Pierre Budenstein und war in der Rue Rene Boulanger war auch das Dojo von Christian Tiessier. Er ging im Mai 1969 nach Japan, das habe ich dann auch, aber nur für ein Jahr ge leitet. Es wurde schliesslich alles etwas zuviel. 1967 habe ich ihn, der vier Jahre jünger ist als ich, das erste Mal in Annecy gesehen, und dann eben Ende 1968 in Paris.

Als 1971 Nakazono Frankreich verliess, an wem orientiertest Du Dich dann?

Mein Studium war abgeschlossen, so ging ich auch wieder nach Strasbourg zurück und habe mit Tamura Sensei weiter gearbeitet. Nach der ersten »Wiedervereinigung« 1974 hat jeder von den Meistern, also Tamura, Nocquet und Mochisuki, fünf ihrer Schüler bestimmt, die gleichzeitig in ganz Frankreich das Aikido verbrei ten sollten. Ich war einer von den fünf aus der  »Tamura-Gruppe«. Ich war eben für Nord-Ost-Frankreich verantwortlich. Man hat Frankreich in fünf Bezirke aufgeteilt (wie es auch heute noch in der Verwaltung gehandhabt wird). Ein Bezirk war Paris und weitere vier galten für den Rest Frankreichs.

Noro war doch auch noch da?

Noro Sensei hat sich sehr schnell, ich glaube schon 1969, vom Aikikai und der französischen Organisation getrennt. Obwohl er gute, enge Kontakte zu Nakazono Sensei und Tamura Sensei hat te. Sein Dojo lag hinter dem »Moulin Rouge«. Aber ich war z. B. schon mit seinem Schüler Max Mechard befreundet. Der machte schon seine eigene Sache. Ich sah ihn dann noch einmal bei einem Lehrgang in Villefrance im Süden, aber habe den Kontakt schliesslich ganz verloren. Nach einem schweren Autounfall hatte er sich ja auch sehr verändert. Ich glaube, es war 1974, als er mit »Kinomitchi« anfing. Zu diesem Zeitpunkt war er, so viel ich weiss, schon in keinem französischen Verband mehr vertreten.

Ganz früher war es doch der französische Judoverband, mit der Sektion Aikido, in der auch Tamura mit drin war, nicht wahr?

Ja, da waren sie alle drin. Als die »erste Wie dervereinigung« stattfand, löste sich die ASFA auf und wir sind in den Judoverband eingetreten. Da war auch Nocquet mit dabei. Der Präsident vom Judobund hiess Pfeiffer. Der hat mit unserem ehemaligen Präsidenten, Guy Bonnefond das alles »zusammen gebunden und verschnürt«, und so blieben wir dort bis 1982. Dann verliess Tamura Sensei unter dem Einfluss von Pierre Chassang den Verband. Das war die zweite Spaltung. Wir, die ältesten, Roberto, Max Mechard und ich sind geblieben. Ein Jahr blieben wir noch im Judobund, die meinten dann, wenn schon alle gehen, sollten wir doch auch gehen. Die Karatekas waren einige Jahre vorher schon raus gegangen, dann 1982 Tamura Sensei mit ca. 40 %. So wurde 1983 die FFAAA gegründet.

Warum bist Du nicht 1982 mit Tamura Sensei gegangen?

Ich bin politisch nicht einig mit Chassang. Ich war ein »treuer Tamura Schüler«, aber die politischen Möglichkeiten, die Chassang vorlegte, als er der rechte Arm Tamuras wurde, nein, da war ich nicht einverstanden. Da waren die Karten alle »gefälscht«! Verstehe mich richtig, Pierre Chassang ist wie ein Grossvater für meine Kinder, aber politisch: Niet!

Wo war dann die Orientierung?

Am Anfang standen wir etwas hilflos da. Man kann sagen, dass Christian Tissier in dieser Zeit viel »Aikido-Sinn« gezeigt hat, auch »Aikido-Op portunismus«. Er war im Mai 1982 in einer Vollversammlung, ich und einige andere waren nicht dort. Chassang hat dort die Teilnehmer »mora lisch gezwungen«, Tamura Sensei zu folgen. Tissier hat damals »JA« gesagt. Einen Monat später, als er sah, dass wir nicht mitgingen, ging er auch nicht mit. Ich denke, weil er Profi war, weil er in Paris war und weil er schlau genug ist, hat er die ganze Sache in die Hand ge nommen. Später, nach ca. 2 Jahren »FFAAA«, unter dem Einfluss von Yamaguchi Senseis Schüler. Wir, die ehemaligen Schüler von Nakazono und Tamura Sensei waren zu der Zeit ein wenig »auf die Seite geschoben«. Aber das relativierte sich. Christian und ich wir haben kein Problem mehr damit, der gegenseitige Respekt ist da. Es gab mal 1985 einen grossen Krach im Verband der FFAAA, da wollte der damalige Präsident etwas mit den Gürteln einführen. Aber das war es auch. Das heutige Präsidium arbeitet ordentlich, auch wenn es ehemalige und im Stil von Yamaguchi Sen seis Schüler sind, aber es ist alles offen. Auch sind andere respektiert, so wie z.B. ehemalige Schüler von Nocquet, Tamura Sensei oder Noro oder wie ich jetzt, als Nishio Sensei Schüler. Man kann sagen, seit zehn Jahren läuft es reibungslos.

Gut, aber jetzt steht ja auch die »Neue Wiedervereinigung«, die UFA bald an!?

Ja, richtig, dass muss jetzt bald stattfinden, in den nächsten zwei Jahren glaube ich.

Was die Prüfungen angeht, da läuft das ja schon gemeinsam.

Ja, hier in Frankreich läuft das ja anderes als in Deutschland, hier muss man, um Aikido unter richten zu können, ein Diplom haben, den »Brevet Federal« oder den »Brevet Etat«, wie der Name sagt, die staatliche Zulassung.

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